Der römische Schienenpanzer

In Kalkriese am Ort der Varusschlacht haben die Archäologen einen herausragenden Fund gemacht: einen römischen Schienenpanzer aus augusteischer Zeit. Diese aus mehreren Metallplatten zusammengesetzte Rüstung schützte über Jahrhunderte die Oberkörper der römischen Legionäre. Als bislang ältester und einzig erhaltener römischer Schienenpanzer. Dieser Fund liefert gänzlich neue Einblicke in die römische Rüstungstechnik. In seiner unerwartet guten Erhaltung erfordert der Neufund aus Kalkriese eine Revision unseres bisherigen Wissens über den Standard römischer Militärtechnik.

Obwohl der Schienenpanzer zur festen Ausstattung der römischen Armee gehörte und in römischer Zeit vielfach abgebildet wurde, gibt es kaum Funde, die uns über das reale Erscheinungsbild und die technischen Details dieser Schutzrüstung in Kenntnis setzen. Bislang musste man immer ins englische Corbridge schauen, wo sechs Hälften von Schienenpanzern gefunden wurden. Diese stammen jedoch aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. und sind damit über 100 Jahre jünger als der neue Fund aus Kalkriese.

 

Bemerkenswert ist auch der Fundkontext des Schienenpanzers. Im Hals-/Schulterbereich lag eine so genannte Halsgeige. Das ist ein typisches Fesselungsinstrument, das die Hände am Hals fixiert und die Handlungsfähigkeit des so Gefesselten wirkungsvoll einschränkt. Halsgeigen wurden in der römischen Armee mitgeführt, um vor allem Kriegsgefangene, deren Schicksal die Sklaverei war, zu fesseln. Die gesamte Fundsituation legt nahe, dass hier ein römischer Legionär als Überlebender des Gefechts von den germanischen Siegern mit dem römischen Unterwerfungssymbol gefesselt wurde.

Entdeckt wurde der Schienenpanzer bei archäologischen Ausgrabungen in Kooperation mit der Universität Osnabrück im Jahr 2018. Dass es sich um einen weitgehend vollständig erhaltenen Schienenpanzer handelt, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Das Wissenschaftlerteam erahnte lediglich ein sehr großes Metallobjekt im Boden. Um den Fund fachgerecht freilegen zu können, entschied man sich für die Bergung im Block. Ein in der Archäologie gängiges Vorgehen, um den Fund im Anschluss unter Laborbedingungen in der Restaurierung auszugraben.

Vor der Freilegung des Blocks, der mit einer Größe von 1,25 m x 1,00 m rund 500 kg auf die Waage gebracht hat, sollte jedoch Licht ins Dunkel gebracht werden. Die erste Reise führte den Block in die große Röntgenanlage des Zollamtes des Flughafens Münster/Osnabrück. Doch das umgebende Erdreich schirmte den metallischen Inhalt so gut ab, dass lediglich klar war, dass es sich hier wirklich um ein sehr großes und metallisches Objekt handeln muss. Die Reise ging weiter: ins Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Fürth. Hier steht das weltweit größte öffentlich zugängliche Computertomographie-System. Die sogenannte XXL-CT erschließt die einzigartige Möglichkeit, großvolumige Objekte vollumfänglich dreidimensional zu erfassen. Gescannt wurde der Block mit insgesamt 1500 Bildern während einer über mehrere Tage dauernden 360-Grad-Drehung.

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